Leben lassen
Ich stolperte am Wochenende über einen Tweet von Hakan, der fragte ob Kinder ein Konzept von Suizid hätten. Es ging um einen FAZ Artikel in dem es um den Suizid eines 12jährigen Kindes ging. Hast du das gewollt? fragt die Überschrift… das ärgerte mich, also, die Fragen ..und der Artikel ..und ich ärgere mich auch immer noch.
Es ärgert mich, dass Kindern Gefühle, Willen & Wissen abgesprochen werden sollen nur weil es nicht in das Bild der Erwachsenen passt …und zu fragen ob Kinder ein Konzept von Suizid haben tut genau das. Vor Allem spricht es ihnen das Unglücklich sein ab. Warum also diese Frage? Weil wir Erwachsene (unsere) Kindheit viel lieber mit fröhlich sein, spielen und lachen verbinden? weil wir verdrängt haben wie es war Kind zu sein? oder weil Kinderkummer weniger wert ist als der von Erwachsenen? frei nach dem Motto: Kleine Menschen kleine Sorgen, große Menschen große Sorgen. Man hat’s schon schwer als Teddybär, aber wartet mal ab bis ihr erwachsen seid! Uff. Ich weiß nicht … Ich hatte eine ziemlich gut behütete Kindheit und ich weiß noch, dass auch ich manchmal wenn es mir schlecht ging darüber nachgedacht habe, was passiert wenn ich jetzt aus dem Fenster springe …oder ähnliches. Nur mich hat die Angst vor dem Tod immer davon abgehalten und meine Bücher und Musik (und letztendlich auch der Gedanke an meine Eltern). Ich glaube kaum, dass ich eine Ausnahme war. Ich sehe schließlich auch mit welchen Sorgen mein Kind manchmal nach Hause kommt, wie traurig sie sein kann oder wütend und wie stark diese Emotionen sind. Und es macht mich traurig und wütend wenn ich daran denke, dass diese Gefühle womöglich nicht ernst genommen werden, weil sie von einem Menschen kommen, die_r noch keine 18 Jahre oder länger auf dieser Erde ist. Ich stelle mal eine Theorie auf: Wenn kind weiß, dass es Leben gibt und danach der Tod kommt und kind auch weiß, dass es Mücken (oder Spinnen oder was auch immer) loswerden kann in dem es sie tötet – und wissen Kinder das nicht schon ziemlich früh? – warum sollte kind das nicht auf sich selbst übertragen können? Natürlich wäre es schöner wenn Kinder solche Gedanken nicht hätten, aber keine_r kann immer und jederzeit glücklich sein, auch Kinder nicht. Sie mögen nicht die gleichen Sorgen haben wie Erwachsene aber für die Kinder wiegen ihre genauso schwer. Das kann manchmal ganz schön erschreckend sein.. ich meine ihnen zuzuhören, aber gerade das sollten wir (und da nehme ich mich nicht raus) tun: weniger über und mehr MIT den Kindern sprechen und ihnen zuhören. Weniger Erziehung und mehr Beziehung. Öfter mal fragen „Was willst/brauchst du?“ bevor es zu einem „Hast du das gewollt“ kommt. Ich glaube dann klappt es auch mit dem Beschützen besser.
Mh, ich hatte den Artikel nicht so verstanden, dass Kindern ein solches Maß an Unglücklichsein undoder Schmerz/Trauer abgesprochen werden sollte. Und ich finde es ist eine Sache, ob jemand (egal, ob Kind oder Erwachsener) an Selbstmord denkt, aber eine ganz andere, sich damit wirklich auseinander zu setzen und es letztlich zu tun. Schon bei Erwachsenen – mich eingeschlossen – bin ich mir nicht sicher, ob sie sich wirklich der Konsequenzen in ganzem Umfang bewusst sind, aber bei Kindern .. I dunno. Vielleicht ist es naiv von mir, aber ich glaube tatsächlich, dass der Junge sich nicht darüber im Klaren war, dass er z. B. an seiner Kotze erstickt. Dass er sich anpinkelt. Was für ein Gefühl das für ein Elternteil sein muss, das eigene Kind zu finden.
Und ja, ich würde behaupten, dass z. B. ich eher in einem Alter bin, in dem ich mir eigene Kinder vorstellen kann und zumindest versuchen kann, nachzuempfinden, was ein Elternteil empfindet, wenn es sein Kind erhängt, erstickt etc. vorfindet. Wie soll ein 8jähriges Kind so weit denken bzw. etwas für das Kind so abstraktes entwirren?
Es geht ja nicht darum, ob es Kindern abgesprochen werden sollte, sondern dass es ihnen abgesprochen wird, auch in dem Artikel und je häufiger ich ernsthaft mit Kindern spreche, desto mehr begreife ich wie sehr sie unterschätzt werden und was sie alles ziemlich klar, (vielleicht sogar klarer als Erwachsene) auf dem Schirm haben. Natürlich kann es sein, dass ein Kind nicht genau weiß was passiert, die realen Konsequenzen nicht kennt, aber das muss es doch eigentlich auch nicht. Um eine Entscheidung treffen zu können reicht es doch wenn es weiß, dass es dann tot ist/ nicht mehr da/ weg von den Sorgen/Ängsten und die Eltern, Familie, Freund_innen etc. vermutlich traurig. Ich glaube da ist es unerheblich zu wissen wie genau diese Gefühle der anderen Menschen jetzt aussehen. Aber wie gesagt, mir wäre es viel lieber wir würden aufhören zu spekulieren und stattdessen lieber mit den Kindern sprechen.
Ich würde mich Hannah anschließen. Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, wo der Artikel oder mein Tweet es Kinden abspricht, über Selbstmord nachzudenken (Artikel ist aber länger her, dass ich ihn gelesen habe.) Ich hätte vielleicht fragen müssen, was für ein Konzept von Suizid haben Kinder, weil mein Tweet als Ja/Nein-Frage durchaus ja die Möglichkeit zulässt, dass Kinder eben KEIN Konzept haben von einem Selbstmord.
Und ja, ich habe mich als kleines und jugendliches Kind auch oft genug gefragt, was passieren würde, wenn: S-Bahn, Fenster, Strom und Badewanne. Aber soweit ich mich erinnere, ging es mir nie um die Tragweite des Selbstmords (wie wird man dann gefunden?), sondern um das Wissen, dass es da noch diesen einen Schritt gibt, durch den sich dann alles verändern würde. Also stellte ich mir weinende Eltern vor. Aber, in meiner Sicht ist das kein Konzept von Suizid.
Es kann aber auch sein, dass es damals, als kleines Kind, eben Suizid genau das war und das sein sollte. Von daher.
Ein kurzer Text zu Kindheit als Konstruktion, der evtl. nicht perfekt passt, aber für die eine oder den anderen ja durchaus in diesem Kontext inspirierend sein könnte…
http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/aufsatze/reich_21b.pdf